Am Samstag, 05. März 2022 versammelten sich rund 300 Menschen zu einer Mahnwache an der Sankt-Pankratiuskirche in Burgdorf. Zur Veranstaltung hatten der Ortsverband Bündnis 90/Die Grünen und der SPD - Ortsverein aufgerufen. Es sprachen der Ukrainer Ivan Mykhailuk, katholischer Pastor aus Burgwedel, die Burgdorfer Superintendentin Sabine Preuschoff und Burgdorfs Altbürgermeister Alfred Baxmann. Ivan Mykhailuk berichtete von traumatisierten Menschen, die bis vor kurzem noch ihr normales Leben lebten und nun von Sirenen in Keller und U-Bahn-Schächte getrieben werden. „So viele Frauen und Kinder müssen ihre Heimat verlassen und Abschied – vielleicht für immer – von ihren Männern nehmen.“ sagte Mykhailuk. „Die Mütter hören nicht auf zu weinen. Krieg ist das Übelste, was es gibt auf der Welt.“ Leidenschaftlich plädierte er dafür, zusammenzuhalten gegen Krieg und Gewalt. „Das Blut, das in der Ukraine vergossen wird, schreit zum Himmel!“ sagte Superintendentin Sabine Preuschoff und erinnerte an die biblische Geschichte vom Brudermord. Sie warnte eindrücklich davor, neue Feindbilder aufzubauen: „Auf gar keinen Fall dürfen wir uns dazu hinreißen lassen, Menschen aus Russland, die hier unter uns leben, mit Groll zu begegnen.“ Es gehe jetzt darum, solidarisch zu sein sich gegen den Krieg und für die vom Krieg Vertriebenen hier vor Ort einzusetzen. Die Rede von Alfred Baxmann finden Sie hier im Wortlaut.


Redebeitrag
von Altbürgermeister Alfred Baxmann anlässlich der Mahnwache zum
Ukraine-Krieg am 05. März 2022


Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

danke dafür, dass Sie sich heute hier zu dieser Mahnwache zusammengefunden haben. Es ist richtig und wichtig, als Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft neben den vielen Aktionen der konkreten humanitären Hilfen auch an vielen Orten in unserem Land ein Zeichen zu setzen, wie wir es heute hier tun.


Ein Zeichen zu setzen dafür,

dass wir nicht wegsehen und es nicht tatenlos hinnehmen,

wenn der Krieg nach Europa zurückkehrt,

wenn vor unserer Haustür ein autokratisch-diktatorisches Regime skrupellos und machtgierig unter Bruch des Völkerrechts einen mörderischen Krieg vom Zaun bricht, Truppen gegen Menschlichkeit und Demokratie aufmarschieren lässt, längst überwunden geglaubte imperiale Machtgelüste auslebt, indem es chauvinistische „Heim ins Reich“ - Parolen verkündet.


Ein Zeichen zu setzen dafür,

dass den Aggressoren klar sein muss, dass – selbst wenn man bereit ist, im historischen Rückblick tatsächliche oder vermeintliche russische Sicherheitsinteressen in Rechnung zu stellen (Stichwort: Nato-Osterweiterung) ein so brutaler Akt der Barbarei durch nichts, durch gar nichts, durch absolut nichts zu rechtfertigen ist.


Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

unsere schlimmsten Befürchtungen der letzten Monate sind leider wahr geworden. Die Welt ist eine andere, seit wir am Morgen des 24. Februar aufgewacht sind, konfrontiert mit der erschütternden Tatsache, dass russische Truppen in die Ukraine einmarschiert sind und all die intensiven Bemühungen zu einer friedlichen, diplomatischen Konfliktlösung vorerst gescheitert waren.


Ich bekenne – und ich denke, es wird vielen von uns so gegangen sein - , dass ich mir bis wenige Tage vor dem Einmarsch der Truppen nicht wirklich hatte vorstellen können, dass es zu dieser Invasion kommen wird.


Feste Überzeugungen, für die wir über Jahrzehnte angetreten sind, sind damit über Nacht brüchig geworden, wurden infrage gestellt.


„Frieden schaffen ohne Waffen“ , „Schwerter zu Pflugscharen“, „Wandel durch Handel“ , um nur einige Schlagwörter zu nennen, das waren für uns friedensstiftende Konzepte und Leitlinien des Handelns.


Ein Gefühl von Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, Ohnmacht, Zorn, Wut machte sich breit.

Es ist paradox: Was passiert ist, macht uns sprachlos. Aber: Wir können und dürfen nicht schweigen, müssen die Stimme erheben.


Was bleibt zu tun?

Wie reagieren wir auf diese „Zeitenwende“ , wie Kanzler Olaf Scholz es genannt hat?

Paradigmenwechsel? Was bedeutet heute „bewaffneter Frieden“?

Für mich heißt das aktuell: eine neue Standortbestimmung!

Zunächst und vor allem aber heißt das:

Das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstverteidigung der Ukraine zu unterstützen, ist unsere moralische Pflicht und zugleich Ausdruck unserer Verantwortung für den Erhalt freiheitlicher Demokratien.

Unsere Solidarität und unser Mitgefühl gelten dem ukrainischen Volk, den zivilen und militärischen Opfern, zugleich aber auch den jungen russischen Soldaten, die so sinnlos „verheizt“ werden.


Konkret bedeutet das für uns wohl aktuell:

Auf militärische Stärke und Widerstandskraft zu setzen, ist wohl unerlässlich.

Und zugleich bedeutet es:

Weiterhin sind alle Instrumente und Kontakte zur Intensivierung diplomatischer Bemühungen und die Aufnahme neuer Gespräche einzusetzen, um zu deeskalieren. Der Gesprächsfaden darf auf keinen Fall abreißen (Doppelstrategien, zweigleisig fahren).


Jetzt ist die Stunde besonnener politischer Verantwortungsträger und ihrer situationsangemessenen Entscheidungen. Es verbieten sich emotionale Überreaktionen, auch wenn es schwer fällt.

Und wir sollten dafür eine breit getragene gesellschaftliche Unterstützung signalisieren.


Gezielte wirtschafts- und finanzpolitische Sanktionen, um die Ressourcen auszutrocknen - allemal!


Auch zur Lieferung von Abwehrwaffen gibt es wohl aktuell keine realistische und wirksame Alternative.


Dabei aber sollte allen klar sein:

Eine vorrangig von militärischen Erwägungen geprägte Außenpolitik ist mittel- und langfristig keine tragfähige Option. Das Primat der politischen Diplomatie muss weiterhin Bestand haben.


Es ist ein schmaler Grat, auf dem verantwortungsbewusste Politik derzeit zu wandern gezwungen ist. Entscheidungen müssen bei neuen Erkenntnissen reversibel sein und die langfristigen Folgen dürfen nicht aus den Augen verloren werden.


Deshalb gilt:

Militärische Ausrüstung im Verständnis von Abwehrwaffen liefern - Ja!

Modernisierung der Bundeswehr mit entsprechendem Mitteleinsatz -

Ja!

Und ganz klar: ein deutliches „Nein“ zu den aktuell von der Ukraine gewünschten Waffenlieferungen (Kampfpanzer, Kampfhubschrauber, U-Boote).


Bei allen neuen Ansätzen ist stets zu bedenken, dadurch nicht eine unheilvolle Spirale des Wettrüstens in Gang zu setzen, sondern alles zu unterlassen, was einer Eskalation Vorschub leistet.


Und ein Weiteres dürfen wir nicht vergessen:

Klima, Armut, Ungerechtigkeit – nicht zuletzt in den internationalen Beziehungen - , diese Probleme sind nicht weg, sie werden aktuell nur überlagert. Die jungen Menschen auf der Straße weisen richtig darauf hin. Das ist gut so.


Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

sind unsere alten Ideale von aktiver Friedenspolitik wirklich obsolet geworden, überholt, aus der Zeit gefallen?

Vor dem Hintergrund des aktuellen Krieges sieht es scheinbar so aus. Müssen wir desillusioniert den Bellizisten, den vermeintlichen Realisten, das Feld überlassen?


Ich denke: Nein.

3000 neue Stellen für den Rüstungskonzern Rheinmetall stellen für mich keine wünschenswerte Zukunft dar. Freiwilligenverbände aus verschiedenen Staaten – sie verheißen nichts Gutes - .


Für mich ist es nach wie vor nicht naiv und blauäugig, sondern zutiefst human, im Interesse unserer Kinder auf eine friedfertige Zukunft zu setzen.

„Zeitenwende“ - Zeiten werden sich wieder ändern, und hoffentlich zum Besseren. Wir werden weiter daran arbeiten müssen.